Ungebaut …! Sakrale Visionen vom Klassizismus bis zur Gegenwart – CfP

„… Architektur die nicht gebaut wurde. Diese ist meist die schönste Architektur! Sie verhält sich zur gebauten wie das Ideal sich zur Wirklichkeit verhält.“
[Josef Ponten, Architektur die nicht gebaut wurde, Berlin/Leipzig 1925, S. 13]

Architektur wird zuerst gedacht und dann gebaut. Der architektonische Entwurf sagt häufig mehr über das Architekturverständnis und die erlernte Theorie seines Entwerfers aus, als die realisierten Bauten, die oft von vielen Einschränkungen, Änderungen und Kompromissen geprägt sind. Wissenschaftlich wird bisher bei der Betrachtung des 19. und 20. Jh. der Fokus vielfach auf profane Bauaufgaben gelegt, obwohl die Sakralarchitektur auch weiterhin eine künstlerisch impulsgebende Aufgabe darstellt. Die sowohl ästhetisch als auch konstruktiv divergierenden Entwicklungslinien des Sakralbaus vom 18. bis ins 21. Jh. zeigen sich mitunter früher und deutlicher in Ideen, nicht umgesetzten Wettbewerbsentwürfen und modellhaften Konzepten bis hin zur Utopie. Die rein gedachten Architekturen geben also Auskunft über das profunde baukünstlerische Potential einer Epoche. Sie verkörpern klarer als das Gebaute eine idealisierte Vorstellung von Raum. Gleichzeitig reflektieren und verdichten sie Diskurse um Veränderungsprozesse. Ideenskizzen, Entwürfe und Modelle sind daher als unverzichtbarer Teil in der Erforschung des sakralen Bauens der Neuzeit anzuerkennen und in ihrer künstlerischen Bedeutung stärker zu kommunizieren. Sie können in baupraktischer wie in wissenschaftlicher Hinsicht als unerfahrene Räume gelten, deren Potential es noch aufzudecken gilt.

Entwürfe von Gotteshäusern sind mannigfaltig als Zeichnungen, Pläne, Modellbauten und in weiteren Formen überliefert. Mit ihnen erlebten Wettbewerbe und Projektdiskurse in der Renaissance eine erste Hochzeit. Ausgehend von einer zunehmenden Theoretisierung der Architektur widmeten die Akteure des späten 18. Jh. der Architekturutopie große künstlerische Aufmerksamkeit, wobei gerade die Räume der Revolutionsarchitektur vielfach sakral konnotiert waren. Im 19. Jh. entfaltete sich das Wettbewerbswesen zu einem unverzichtbaren Teil der Kommunikation um Kirchenneuplanungen. Dieses erwies sich als probater Weg, zwischen einem nationalen künstlerischen Anspruch und lokaler Realisierbarkeit auszugleichen. Entwürfe und Konzepte wurden als künstlerisch eigenständige Werke wertgeschätzt, angekauft und lokal sowie überregional ausgestellt. Eigens gegründete Wettbewerbszeitschriften ermöglichten die weitergehende Erörterung progressiver Entwürfe. Die pluralistischen Neuausrichtungen in den Institutionen Kirche und in den Theologien gaben im 20. Jahrhundert die Bauaufgabe Kirche sowohl architektonisch als auch soziologisch zur Neukonzeption frei. Baukünstlerisch galt es, Neudefinitionen verschiedener Rollen des Kirchengebäudes zu finden: 
a) in der urbanen Topografie 
b) in seiner sozio-kulturellen Bedeutung für Kirchengemeinde und Pfarrseelsorge
c) in einer sich ändernden Liturgie.

Der hohe Anteil von insbesondere in den Zwischenkriegsjahren entstandenen Modellkirchen – also Kirchen, die den Diskurs um Raum und Liturgie begleitend visualisierten, nicht jedoch als bauliche Konzepte missverstanden werden dürfen – kann als sehr gut erforscht bezeichnet werden. Für die Zeit nach 1945 besteht hingegen ein Forschungsdesiderat. Unter dem Eindruck des riesigen Bestands an gebauten Kirchen der Nachkriegszeit ist dem Anteil reiner Ideenwettbewerbe und nicht realisierter Bauten bisher nie systematisch nachgegangen worden. Im 21. Jh. findet sich eine gänzlich veränderte Situation: der Überbedarf. Es wird öffentlich zu Ideenwettbewerben aufgerufen. Machbarkeitsstudien und 3D-Visualisierungen behaupten sich als Kommunikationsformen in neuen Medienkanälen.

Begleitend zu der Konferenz ist eine mehrwöchige Ausstellung mit regionalem Schwerpunkt vorgesehen. Es sollen Exponate beginnend mit den fantastischen Entwürfen Karl Friedrich Schinkels über die Wettbewerbsbeiträge der Kaiserzeit, wie dem Berliner Dom, bis hin zu Kirchenbauentwürfen der Nachkriegsmoderne und darüber hinaus bis in die Gegenwart gezeigt werden.

Zielsetzung der Tagung ist, die Relevanz der Sakralbauforschung für heutige Entwicklungen hervorzuheben. Erwünscht für einen interdisziplinären Austausch sind Beiträge zu ungebauten Entwürfen für Sakralarchitektur und ihren Kontext aus: Architektur und Stadtplanung, Geschichtswissenschaften und Kunstgeschichte, Sozialwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Theologie und angrenzenden Gebieten.

Interessenten sind eingeladen, ein einseitiges Exposé als PDF für einen 30-minütigen Vortrag (zzgl. kurzer Aussprache) inklusive eines kurzen CV bis 31.10.2022 an team@berlinerkirchenbauforum.de zu senden. Es ist geplant, die Beiträge in der Schriftenreihe des Berliner Kirchenbauforums zu publizieren.

Konferenzsprachen sind deutsch und englisch. 
Veranstaltungsort: Katholische Akademie, Hannoversche Straße 5, 10115 Berlin