Zwischen Reform und Tradition.

Die Kirchenbauten des unbekannten Baumeister der Avantgarde Adolf Thesmacher (1880-1948)

Rafał Makała

            Die drei ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhundert sind ein Zeitalter der oft sehr fruchtbaren künstlerischen Experimente gewesen, die die Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts weitgehend bestimmt hatten. Viele neue Aspekte der Architektur wurden damals zum ersten Mal aufgegriffen oder zumindest thematisiert, u.a. die Berücksichtigung der technischen (Entstehung neuer Technologien) bzw. sozialen Fragen (zB. Der menschengerechten Wohnung für Arbeiter), was wiederum zur Ausbildung neuen Formen, ja sogar neuen Gebäudetypen geführt hatte. In der meistbekannten Version des Bauhauses bedeutete das Neue Bauen einen radikalen, ja demonstrativen Bruch mit der Tradition, insbesondere mit der Kunst der unmittelbaren Vorläufer der Avantgarde. Den Mainstream bildete jene Architektur, die das Innovative mit dem Bezug auf die Tradition zu verbinden versuchte. Das kam besonders gut in der Kirchenbaukunst jener Zeit zum Vorschau – denn hier versuchte man durch die Berufung auf die alte christliche Architektur den Charakter des Christentums (zB. der das Bestehen der Kirche, ihre überzeitliche Rolle eines moralischen Wegweiseres in der Zeit der Relativierung aller geistigen Werte) auszudrücken. Insbesondere die Reformbewegungen innerhalb der evangelischen und katholischen Kirche fanden einen interessanten Ausdruck in der Kirchenbaukunst der frühen Moderne.

            Der im Titel genannte Architekt Adolf Thesmacher hatte gerade in dieser Hinsicht sehr interessante, wenn auch heute unbekannte Werke geschaffen. Ausgebildet in Berlin, war er über sein ganzes berufliches Leben als Architekt mit dem sich dynamisch entwickelndem Papierherstellerkonzern „Feldmühle“ (mit dem Hauptsitz in Stettin) verbunden.  Thessmacher machte sich noch vor dem 1. Weltkrieg einen guten Ruf als Architekt dank seiner Landhausprojekte für die Siedlung Ackermannshöhe in Stettin herausgemacht hatte. Doch in der 20ger und 30ger Jahre entwarf er auch höchst interessante evangelische und katholische Kirchenbauten, die ein Zeugnis der Suche nach einer moderner, doch traditionsverpflichteten Form sind. Besonders interessant ist in diesem Kontext sie Kreuzkirche (heute katholische Kirche der Heiligen Familie), die ein seltener Beispiel einer Synthese zwischen Innovation und Tradition ist. Sicherlich war Thessmachers Erfahrung mit dem Industriebau Sicherlich war Thessmachers Erfahrung im Industriebau nicht ohne Einfluss auf seine Kirchenbauen gewesen – doch ebenso wichtig für seine Projekte war soziale und theologische Reflexion seiner Zeit gewesen. Damit ist es ihm gelungen, neue stilikonographische und raumtypologische Ideen auszuarbeiten. In seinem Werk bezieht sich Thessmacher an die bedeutendste Architekten des Kirchenbaues jener Zeit, doch nicht auf diejenige, die eine radikale Reform des Kirchenbauwesens – wie Otto Bartning – vorschlugen. Vielmehr richtet er seine Aufmerksamkeit den Projekten von Dominikus Böhhm, Hans Herrkommer oder Fritz Höger. (was auch die Relevanz der Unterschiede zwischen katholischem und evangelischem Kirchenbau jener Zeit unter Fragezeichen stellt). Darüber hinaus sind Thesmachers Bauten durchaus gelungene Kunstwerke – nicht nur wegen ihrer prägender, wenn auch mit einer minimalistischen, abstrakten Formgebung ausgedrückten Semantik. Sie sind weitgehend modelhaft funktionalistische Bauten gewesen, die damit die zwei wichtigste Paradigmen des Neuen Bauens erfüllten.